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«IM MATERIAL DER EXISTENZ»

26.10. – 10.11.2019
Ausstellungsraum Klingental/RANK
Kasernenstrasse 34, Basel

COLLECTIF INOUITE (Anna Nitchaeff und Lucie Kohler)
KERSTIN MÖRSCH
LÉA MEIER
MURIEL BAUMGARTNER
PATRIZIA VITALI

Kuratiert von PATRICIA BIANCHI und OLIVIA WIEDERKEHR

Gibt es performative Praxen oder Strategien, mit welchen das eigene Umfeld, resp. der individuelle Raum ausgelotet, vergrössert oder gar verfestigt werden kann? Kann eine performative Handlung, oder ein performatives Setting/Installation ein Werkzeug sein, um den eigenen ‚Raum‘ zu festigen, sich anzueignen? Wie sehen diese Strategien aus, wie fühlen sie sich an? Wie entstehen sie? Ist dies nur für die Künstlerin erlebbar, oder auch für die Rezipienten? Wie entsteht der eigene Raum der Identität? Ist Identität und Existenz dasselbe im Räumlichen gedacht?

Existenz findet immer im Raum statt und hat einen Ort: sowohl physisch-materiell wahrnehmbare als auch mental-geistige Dimensionen von Seinsformen kommen ohne Räumlichkeit nicht aus. Dies jedenfalls skizziert der französische Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre. Seine Theorie des Raumes ist der Ausgangspunkt der Ausstellung und dienst als gedanklicher Leitfaden. Lefebvre benennt Raum als etwas, was durch die Produktionsverhältnisse entsteht. Die Gesellschaft als etwas, was im Raum existiert, diesen formt und von diesem wiederum auf unterschiedliche Weise geformt wird. Die Produktion von Raum sei – so Lefebvre – eine Handlung mit Möglichkeiten des Widerstandes oder als anerkennende/zustimmende Reproduktion von (gesellschaftlichen) Verhältnissen. Seine Theorien bieten uns Kategorien der Beschreibung und des Verständnisses von Zusammenhängen in und um Raum an.

„Auf Grund“, 2015 Digitalfotografie

MURIEL BAUMGARTNER arbeitet vorwiegend mit dem Gegebenen; seien es elementare Alltagsgegenstände, welche sie transformiert, oder Ausstellungssituationen, für welche sie ortsspezifische Installationen entwickelt. Sie schält Bedeutungen heraus, welche ihr bemerkenswert erscheinen, und wirft im Kopf des Betrachters Fragen auf. Sie bewegt sich dabei in ökologischen, gesellschaftlichen und psychologischen Themenfeldern. Am leichten Ende des Spektrums stehen poetische, manchmal humorvolle Spiele mit der Wahrnehmung.

„Arbeit am Körper AK“, Rauminstallation

Für die Ausstellung „Im Material der Existenz“ entwickelt sie ausschliesslich mit Materialien und Objekten aus dem Bestand des Ausstellungsraums eine Rauminstallation. Sie geht von der materiellen Existenz des Ausstellungsraumes aus, welche von ihrer eigenen Existenz dann durchdrun- gen wird. Besucher werden vor und hinter den installierten Wänden ebenfalls Teil der Installation. Es entsteht ein sozialer Raum – ein Modell einer Ausstellung – in welchem sich unsere physischen, mentalen und sozialen Existenzen kreuzen.

„Ma maison est une maison sale“ 

LÉA MEIER ist eine Künstlerin, die mit Hilfe von Performance, Texten und Materialen emanzipatorische Atmosphären schafft. In ihren Performances untersucht sie Begriffe wie Schmutz, Begehren, Körper und das Scheitern. Sie nutzt sexuelle Energie als Quelle der Kreativität, um Räume zu kreieren, die durch intime, feministische und politische Reden geprägt sind. Sie erforscht die inneren Räume, sowohl häusliche als auch physische. Sie lebt und arbeitet in Lausanne.

„Ma maison est une maison sale“ 

Die Performance „Ma maison est une maison sale“, ist eine Untersuchung über Versagen, Verunreinigung und die Weigerung, als Motor der Emanzipation zu verführen. Die Performance bewohnt die vermeintliche Leere des weiblichen Körpers, indem sie ihn als potenziellen Raum für Bewegung und Hören betrachtet, eine Voraussetzung für jede Möglichkeit von Echo oder Zirkulation. Wie können wir uns die vermeintliche Negativität der weiblichen Körper als Räume der Machtübernahme neu vorstellen? Können wir unseren Widerstand auf Liebe und Poesie aufbauen? Wie kann sich feministische Poesie und antipatriarchales Schreiben ausdrücken? Léa Meier will den inneren Raum des Körpers neu definieren, um ihm eine intime und politische Existenz zu verleihen, und eine Sprache entwickeln, die die Diversität und die Vielfalt der Körper- schaften einschliesst und die Räume existieren lässt.

„Max & Bruce: die Höhle“ (a room of one‘s own) 

Die Strategien des COLLECTIF INOUITE sind Reappropriation und Rekontextualisierung.
Von den Ratte- und Bärfiguren von Fischli und Weiss aus- gehend entwickelt das Collectif Inouite ein immer dichteres Referenzensystem; es wird zugleich versucht, diese Fetische der zeitgenössischen Kunst zu ihrem Maskottchen Status zurückzubringen indem Performances aufgeführt werden, die auch eine gewisse simple Unterhaltungsebene beinhalten.

„Max & Bruce: die Höhle“ (a room of one‘s own) 

Max die Ratte & Bruce der Bär untersuchen, welche Bedingungen für die Entfaltung der Kreativität und für einen ruhigen Winterschlaf nötig sind. Sie laden euch in ihrer Höhle ein, lesen Virginia Woolf und Mona Chollet, stellen Ausmalbilder, Kräutertee und Schlafplätze zur Verfügung und schaffen Raum für Ineffizienz und Self-Care.

„parking“ , Video, Installation Auto

PATRIZIA VITALI arbeitet mit dem Körper im Raum und den sichtbaren und unsichtbaren Kräften, welche diesen mitbestimmen und gestalten. Es ist ein Experiment mit den Bedingungen und Machtkonstellationen, mit Kontrolle und Kontrollverlust. Alles geschieht dabei über den Körper, über die Berührung und Resonanz mit dem Aussenraum, der immer auch einen Innenraum spiegelt und zur Diskussion stellt.

Die Arbeit „parking“ ist eine Auseinandersetzung mit Freiraum und den damit verbunden Reibungsflächen und Gefahren. Sie zeigt eine fragile Verbindung, ein kurzzeitiges Zusammentreffen an einem Unort und stellt damit auch die Frage nach der Präsenz und dem Platz für den menschlichen Körper innerhalb gebauter, effizienter Strukturen.

„gravity“ Video HD, 30min mit Booklet

„gravitiy“ setzt sich noch einmal anders mit Raum und Freiraum auseinander und vermisst die für uns fundamental bestimmenden Kraft der Gravitation, welche je- den Raum, jeden Körper und jede Körpererfahrung mitbestimmt. Über einfach Wahrnehmungsübungen wird das Verhältnis von Körper, Erdanziehung und dem Fallen ausgelotet. Hinter den spielerischen Zugang verbirgt sich die grosse Frage nach Kontrolle und Kontrollverlust, nach Macht und Ohnmacht. Oder anders gefragt: Wann haben sie das letzte mal die Kontrolle so vollends verloren, dass es kein Zurück mehr gab? Wann sind sie das letzte Mal gefallen? Auf den Boden der Tatsachen? In die Liebe oder aus dem System?

Siga-Overall (Einteiler, Prototyp), 2017 Baumwolle, gefundene Knöpfe, Nähgarn
Echthaarmütze, 2017 gesammeltes Kopfeigenhaar (2014- 2017), Nylonschnur


KERSTIN MÖRSCH entwickelte in den vergangenen Jahren sechs Hauptcharaktere, die den Ursprung ihrer Arbeit bilden. Aus deren Eigenschaften und Mitbringseln ist ein logisches System entstanden: Zeichnungen, Leinwände, bedruckte Nachthemden und ein Kopfgestell, sowie ein gefundenes Silikonschwert mit Wackelspitze sind der Kern dieses Zyklus.

“Mein Leben in der Denkmütze – Nisrek Varhonja im Portrait“ 
Lecture-Performance von Kerstin Mörsch

Nisrek Varhonja ist eine dieser Charaktere und mit dieser Identität hat Kerstin Mörsch 14 Jahre gelebt und gearbeitet. Mit ihrer Denkmütze und dem Verschwindungsdress ist sie durch ihr genähtes schwarzes Loch gereist (Fernsehinstallation „Das schwarze Loch“, 2015), hat ein Wort so lange geschrieben, bis es verschwunden war (Ein Aus im Anschluss, 2015); hat ihren Stammbaum in brauner Mischwolle gestrickt. In ihrem Beweis von Nichts hat sie die Nichtexistenz des Wortes nicht bewiesen.

Für die Echthaarmütze hat Kerstin Mörsch ihr eigenes Kopfhaar drei Jahre lang gesammelt, zu kleinen Kügelchen gefilzt, aufgereiht und eine Mütze daraus genäht. Alles was sie in jener Zeit gegessen, erlebt, geraucht, womit sie sozusagen in Berührung gekommen ist, ist in der Mütze gespeichert.

Im handgenähten Siga Overall und der Echthaarmütze hat sie im Februar 2018 ihre Mörschwerdung bekannt gegeben: aus Nisrek Varhonja wurde wieder Kerstin Mörsch. Nisrek Varhonia war Rechtshänderin. Kerstin Mörsch malt und zeichnet mit links. Darüber wird sie in ihrer Lecture- Performance berichten.